Impressionen von der Learntec 2020

(erst einmal das Negative (-) und dann das Positive (+))

– An einem modisch aufgemachten Stand im Design einer Bühne auf einem Rockfestival verspricht die Moderatorin durch ihr stylisches Headset:

„Das war ernst gemeint mit dem Geschenk! Wir schenken Euch unser Buch zum Thema „Blended Learning“, wenn Ihr euch dahinten registrieren lasst und schicken es Euch dann kostenlos per Post zu.“ Sprachs und machte Stage Diving in die Arme ihrer bereit stehenden Kollegen.

Ich habe mich gefragt, ob die angebotene Weiterbildung zum „zertifizierten Blended-Learning-Trainer“ dann auch per wöchentlichem Lehrbrief erfolgt…

– Irgendwie war dieses Erlebnis aber in weiten Bereichen symptomatisch für die „Learntec 2020 – Internationale Fachmesse und Kongress“. Ausländische Besucher blieben hungrig, weil an den Catering-Ständen nur mit Bargeld bezahlt werden konnte. Das WLAN war teilweise so schwach und überlastet, dass Aussteller auf mobiles Internet ihrer Handys umstiegen, um Produkte vorführen zu können. Diese Option war leider nicht überall gegeben, weil das Handynetz nicht in allen Bereichen zur Verfügung stand. Viele Stände waren dominiert von Rollups und Plakaten mit ähnlichen Schlagworten – ein Paradies für Bullshit-Bingo-Spieler .

– Erschreckender fand ich allerdings die Tatsache, dass in nur einer von acht Veranstaltungen des Kongresses, die ich besucht habe, elektronische Lernmedien eingesetzt wurden (Powerpoint zähle ich hier mal nicht mit).

Ich habe ein paar sehr gut gemachte Workshops besucht. Einer forderte sogar explizit zum Mitbringen von Laptops und Tablets für die Mitarbeit auf. Wir saßen dann aber mit Klebenotizen, die wir an die Wand gepinnt haben, um unsere Tische. Dort wurden sie fotografiert, um eines Tages in die Konferenzplattform geladen zu werden. Wann und wie das geschehen sollte, war der Moderatorin allerdings selbst noch schleierhaft.

Vielleicht hätte ich mich bei dem vorhandenen Netz auch nicht getraut, elektronische Pinnwände zu verwenden (padlet.com , linoit.com), aber der Nutzen unmittelbar die Ergebnisse aller Gruppen teilen zu können, ist doch hier offensichtlich. Im SAMR-Modell von Ruben Puentedura wäre man damit zwar auch nur auf der zweiten Stufe von vier hinsichtlich des Einsatzes technischer Werkzeuge im Unterricht, aber immerhin wäre das gelebt, was die E-Learning-Community doch auch verkaufen möchte: Ein (auch didaktischer) Mehrwert beim Lernen mit elektronischen Hilfsmitteln.

+ Deshalb muss ich hier Jördis Hollnagel und Christina Pauly von Bosch lobend erwähnen, die das Abstimmungswerkzeug des Kongresses als interaktives Element in ihre Präsentation „Onboarding for Bosch HR: Global, digital, personal and hands on“ eingebaut haben.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich möchte nicht um jeden Preis Technik im Lernprozess einsetzen. Papier und Stift haben weiter ihren Platz. Aber wenn es einen praktischen/didaktischen Mehrwert gibt, sollten wir als professionelle Nutzer, Anbieter und Gestalter doch vorangehen, oder?

– Ein ganz dickes Minus verdient aus meiner Sicht die Konzentration von Ausstellern und Präsentierenden auf Inhalt/Content.

Natürlich sind Inhalte beim Lernen wichtig, aber was habe ich davon, das Telefonbuch auswendig aufsagen zu können, wenn ich nicht weiß, wie ich ein Telefon bediene? Lerntransfer entsteht kaum durch „Bestrahlung“ mit Inhalten, sondern durch ausprobieren und anwenden. Der Bereich der Lernaktivitäten wurde aber oft vernachlässigt.

Aber genug gemeckert! Jetzt kommen noch ein paar – überwiegend – positive Eindrücke.

+ Ein Google Glass ähnliches Headset, über dessen Kamera und mittels Sprachsteuerung Bilder und Videos aufgenommen und mit erklärenden Texten direkt ins LMS (hier Moodle) übernommen werden können. Besonders beeindruckt hat mich die Spracherkennung, die trotz des hohen Geräuschpegels in der Messehalle meine Sprachbefehle ohne Training sofort erkannt hat.

+ Einen hohen Spaßfaktor hatte sicher auch das Modell einer Kettensäge, mit dem man mittels VR-Brille den sicheren Einsatz der Säge beim Fällen eines Baumes üben konnte.

+ Einige der Workshops verdienten ihren Namen wirklich! Wie oft sitzt man in einem Workshop und schaut sich nur Folien an? Besonders viel „geworkt“ wurde bei Jane Hart (@C4LPT), JaneBozarth (@JaneBozarth), Helen Blunden (@ActivateLearn) „Designing a learning campaign to promote continous learning”, Bianca Baumann (@biancabaumann) , Tim Burmeister (@Tim35807242) “Design Thinking: Moving from Theory to Application” und Andrew Jacobs (@AndrewJacobsLnD) “Developing modern online learning resources for the workplace”.

+/- Ein guter Vortrag zum Thema Ergebnisse aus über 100 Jahren Transferforschung von Ina Weinbauer-Heidel „Was Trainings wirklich wirksam macht…“ steckte den Finger in die Wunde, dass im Bereich Trainings oft Buzzwords und Trends wichtiger sind, als der empirische Nachweis der Wirksamkeit von Methoden. Aber warum als Vortrag! Inaktive Lernende (d.h. Zuhörende) haben kaum Transfer. Quod erat demonstrandum?

+ Geschätzte Kollegen wieder getroffen.

+ Viele neue, interessante Menschen kennengelernt und spannende Gespräche geführt.

+ Endlich mal wieder einen Teil der Familie im Süden besucht. ;-)